Stephan Serin



Chaussee der Enthusiasten

Dienstag, 1. April 2014

Kapitel 6


Zwei Tage später hatte ich Marine noch nicht angerufen, dafür aber mein Zimmer halbwegs eingerichtet. Ich besaß nun einen Teller, eine Tasse, Besteck, einen Topf, ein paar Lebensmittel und Toilettenpapier. Und ich hatte mir bei E.Leclerc, einem riesigen Supermarkt gegenüber vom Campus, einen CD-Player mit Radio besorgt, um so lange, wie ich noch keine Französin datete, zumindest mein passives Französisch zu trainieren. Dazu kam noch die Ausgabe für die tägliche Lektüre der L’équipe und von Le monde. Frankreich war teuer. Ich musste Geld abheben. Natürlich nicht allein. Sebastian war mir seit unserer Ankunft kaum von der Seite gewichen, abgesehen von den Momenten, in denen er mit Josepha telefonierte. Nun begleitete er mich auch zur Caisse d’Epargne-Fililale ins Zentrum. Mir war keine Erklärung eingefallen, wieso er nicht hätte mitdürfen sollen. Außerdem mangelte es momentan an Alternativen. Die fette Schwarze im Zimmer 6 war keine Französin. Sie kam aus einem englischsprachigen Land. Der stille und freundlich grüßende Brillenträger mit der Carlos-Brille und der Gebetsmütze schräg gegenüber von Sebastian musste aus dem Maghreb sein. Die Gespräche mit Mehdi und Rachid, die oft vor der Treppe vom Bâtiment A abhingen, waren bisher nicht über die Fragen hinausgekommen, ob alle Deutschen schwul seien und ob ich ihren Puller lutschen wollte.
Bevor wir unsere Karten in den Automaten der Bank-Filiale gegenüber vom Centre Bosquet schoben, schlug ich vor: „Lass uns mal erst erkundigen, wie teuer hier die Gebühren sind!“
Eigentlich war es mir egal, welche Gebühren verlangt wurden. Ich wollte vor allem Französisch sprechen. Und hoffte, dass die Bankangestellten mich nicht sofort als Deutschen identifizierten. Durch zahlreiche kürzere Frankreichbesuche, sieben Jahre Gymnasium und zwei Jahre Romanistikstudium beherrschte ich die Sprache ganz passabel, zumal ich mich immer darum bemüht hatte, jede Gelegenheit zum Sprechen zu nutzen. Schon oft hatte man mir in Frankreich bescheinigt, praktisch akzentfrei zu sprechen. Mal sehen, wie lange ich meinem Gegenüber am Schalter vormachen konnte, ich sei sein Landsmann. Mein Anliegen war zwar thematisch dafür ungeeignet, denn warum sollte ich Kunde einer deutschen Bank sein, wenn ich Franzose war. Aber ich hatte die richtigen Impulse im Wohnheimzimmer einstudiert, um mich als Einheimischer zu verkaufen:

1) Guten Tag. Ich bin zwar kein Kunde Ihrer Bank, würde aber gerne mit meiner Karte Geld abheben. Wie hoch sind denn die Gebühren?
2) Aha. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach meiner Hausbank. Ich bin bei der Sparda-Bank Berlin. Können Sie mir darüber Auskunft erteilen, wie teuer das ist?
3) Das ist eine deutsche Bank. Das haben Sie bestimmt in Ihrem Computer.
4) Ich bin bei der Bank, weil ich gerade ein Erasmusjahr in Berlin gemacht habe.
5) Pauschal oder in Abhängigkeit von dem Betrag, den ich abhebe?
6) Vielen Dank.

Die Wortbeiträge Nummer zwei, drei und vier würde ich nicht benötigen, sofern die Gebühr von Caisse d’Epargne erhoben wurde. Ich musste nur sicherstellen, dass mich Sebastian nicht verriet. „Lass mich reden. Ich hab solche Gespräche schon geführt.“
Wir betraten die kundenfreie Filiale. Zwei Bankangestellte blickten auf und lächelten. Der Jüngere von beiden, ein Mann Anfang zwanzig mit kurzen gegelten Haaren, eilte auf uns zu.
„Je peux vous aider? - Kann ich Ihnen helfen?“
„Bonjour!“, legte ich los und wurde sogleich unterbrochen.
„Oh, Germany. Your French really good.“
Diese Beleidigung war ein Schlag ins Gesicht. Warum hatte er nicht gleich gesagt: „Oh, you are from Berlin Friedrichshain.”?
Ich setzte an: „Nein, ich bin nicht aus Deutschland. Ich bin aus Afghanistan und auf der Suche nach einem Objekt für meinen Dschihad.“
Doch Sebastian kam mir zuvor: „Yes, we are from Berlin. Germany.“ Na toll. Meine Identität war aufgeflogen. Ich riss das Wort wieder an mich.
„Je ne suis pas un client de votre établissement. Mais j’aimerais retirer de l’argent avec ma carte bancaire. Pourriez-vous m’indiquer les frais?“
„Yes, I can. He money, on the money from the machine. The costs. The bank, that you have. This is he money.“ Offenbar hatte er Englisch nach dem ersten Halbjahr der siebten Klasse abgewählt. Ich verstand gar nichts.
„Vous pouvez parler français! - Sie können Französisch sprechen!“, schlug ich vor.
„No. You talk English!“, weigerte er sich und schüttelte dabei lächelnd seinen Kopf. Offenbar waren wir in dieser Filiale die ersten Ausländer seit Menschengedenken und er erhoffte sich vom Gespräch mit mir eine Auffrischung seiner nicht vorhandenen Fremdsprachenkenntnisse. So setzten wir unser Gespräch bilingual fort:
„Pardonnez-moi, Monsieur. Mais je n’ai rien pigé de ce que vous avez essayé de me dire.“ Ich wurde lauter. Er blieb unbeeindruckt: „Okay. The bank machine … costs moneys. Görman Mark. Not the machine. But he bank you have. Your bank.”
„Si je vous ai bien compris c’est ma banque en Allemagne qui prélève des frais sur les retraits de ses clients à l’étranger.“
Sebastian stand ratlos daneben. Er schien unsicher, ob er sich, wie von mir gewünscht, nicht einbringen durfte, oder mir nun doch unter die Arme greifen sollte. Abwechselnd schaute er von mir zu meinem Tandempartner.
„Was meint er?“
„Ist mir egal. Er soll Französisch reden.“
„Yes.“
„Quel est le montant?“
„Äh, the bank ... äh the bank Germany has a name. What?”
Ich schüttelte nur gereizt den Kopf.
German Bank? Banque de commerce?“, bot er mir ungerührt an, so als habe er von unseren kommunikativen Schwierigkeiten noch nichts mitbekommen.
Sparda-Bank Berlin.”
Ich buchstabierte und er tippte den Namen in seinen Computer ein, allerdings erst, nachdem er jeden einzelnen Buchstaben wiederholt hatte.
Er blickte eine Weile auf seinen Bildschirm, spielte mit seiner Unterlippe und fing dann an zu stammeln: „Äh, the money … your banque ...äh, äh a problème ... ordinaetör here...”
Ich verstand weiterhin nur Bahnhof und versuchte erneut, ihn dazu zu bewegen, doch einfach Französisch zu reden, unter anderem, indem ich mehrere französische Zungenbrecher fehlerfrei rezitierte.
Doch er blieb bei Englisch. Ich schaute zu Sebastian und rollte mit den Augen.
„Soll ich es mal mit Spanisch versuchen?“, bot er an.
„Mach mal!“, verzog ich verächtlich den Mund und nickte ironisch. Was sollte das bringen? Warum sollte ein französischer Bankangestellter einen Deutschen, der Spanisch sprach, besser verstehen als einen Deutschen, der Französisch sprach?
„Okay. Äh .... Querer ... saber ... banco ... los costos.“ Sebastian machte doch tatsächlich Ernst. Er beugte sich dabei über den Schalter, als sei alles ein Problem der Akustik. Sein Spanisch hörte sich kaum besser an als das Englisch des Caisse-d’Epargne-Mitarbeiters. War das hier das französische Pendant zu „Verstehen Sie Spaß?“ Wo war die Kamera? Ich wandte mich genervt an den älteren Kollegen:
„Excusez-moi, Monsieur. Pourriez-vous m’indiquer le montant des frais prélévés par ma banque allemande pour le retrait d’argent?“
„Si ... moneta ... no sapere ...cui computer ...di questo bancuo.“
Das sollte wohl Italienisch sein. Ich gab auf. Eine weitere misshandelte Sprache hatte mir gerade noch gefehlt. Ich verabschiedete mich auf Russisch und trat den Rückzug an. Sebastian, der so in sein Gespräch vertieft war, folgte mir erst eine halbe Minute später.
„Ich hab nichts rausbekommen. Wollen wir es noch woanders versuchen?“
„Nein. Scheißegal! Lass uns was abheben! … Wie kommt es eigentlich, dass du so gut Spanisch kannst?“
„Ich bin mal nach Santiago de Compostela gewandert. Mit Josepha.“
„Bist du gläubig?“
„Nein. Aber ich wandere gerne.“
Er wurde mir immer seltsamer. Ein Glück, dass er bald in eine WG ziehen würde.

Ende der Woche dazu, wie es klingt, wenn Franzosen Englisch sprechen, am nächsten Dienstag weiter mit dem Roman.

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